Was ist ein Konflikt?

Konflikte bringen uns an unsere Grenzen. Sie machen uns wütend oder lassen uns zurückschrecken, dass wir am liebsten davonlaufen würden. Manchmal machen sie uns aber auch sprachlos, so dass wir gar nichts mehr sagen oder tun können. Viele Menschen scheuen Konflikte, andere, wenige sollen sie aber auch lieben. Da stellt sich die Frage, was ist das eigentlich, ein Konflikt? Und wie entsteht er? Wie funktioniert er? Was macht er mit uns und wie gehen wir mit ihm um?

Konflikt im Team

Was ist das überhaupt, ein Konflikt?

Oft hilft es uns, besser mit Dingen umzugehen, wenn wir sie verstehen, wenn wir wissen, was sie ausmacht, oder wenn wir sie zumindest eingrenzen oder beschreiben können.

Zunächst möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass es mir hier um Konflikte zwischen Menschen und Menschengruppen geht. Natürlich gibt es auch Konflikte mit der Fernbedienung des Smart-TVs, innere Konflikte oder Konflikte mit gefährlichen Tieren in freier Wildbahn, aber darum soll es hier nicht gehen. Vielmehr geht es um Konflikte als soziales Phänomen. So definiert Friedrich Glasl, Organisationsberater und einer der am häufigsten zitierten Konfliktforscher, Konflikte wie folgt: "Sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeit im Wahrnehmen und/oder im Denken und/oder im Fühlen und/oder im Wollen mit dem anderen Aktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass bei Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt und will, eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (andere Aktoren) erfolgt." Puhh...

Zur Veranschaulichung ein typisches Beispiel, wie es sich Tag für Tag in vielen Büros Land auf Land ab abspielen könnte: Ein Sommertag. Kollegin A ist es heute ziemlich heiß und sie dreht die Klimaanlage auf. Direkt unter der Klimaanlage sitzt Kollege B, dem es nun ziemlich schnell ziemlich kalt wird. Außerdem hatte er eine sehr kurze und wenig erholsame Nacht. Er wirft Kollegin A, auf die er schon seit einer ganzen Weile nicht mehr besonders gut zu sprechen ist, einen grimmigen Blick zu und dreht die Klimaanlage wieder herunter. Kollegin A denkt sich: "Hat der sie noch alle?" und dreht bei der nächsten Gelegenheit schlecht gelaunt die Klimaanlage wieder auf usw. usf. 

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Konfliktdefinitionen, die sich dem Thema Konflikt immer von seinem Ursprung, seinem Auslöser her nähern. Mein Schwiegervater beruft sich beispielsweise auf den Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der laut meinem Schwiegervater gesagt haben soll, dass Konflikte aus enttäuschten Erwartungen entstehen. Ob diese Aussage tatsächlich von Luhmann stammt, kann ich leider nicht sagen. Sie klingt jedenfalls nachvollziehbar und findet sich in ihrem Ansatz auch in anderen Konfliktdefinitionen wieder. Wie so oft ist die Realität bei genauerem Hinsehen etwas komplexer. Ich bevorzuge daher ein mehrdimensionales Modell der Konfliktdefinition, das neben der Definition von Friedrich Glasl auch andere Definitionen einbezieht.

Nach dem Soziologen Jean-Claude Kaufmann und dem Neurowissenschaftler Pierre A. Buser können Konflikte aus Dissonanzen heraus entstehen. Menschen, Situationen oder Objekte verhalten oder entwickeln sich oft anders, als wir es aufgrund unserer Erfahrungen erwarten, was zu Irritationen oder eben Dissonanzen führt. Die Frage ist nun, wie wir mit diesen Irritationen oder Dissonanzen umgehen. Wir könnten uns bemühen, die Wirklichkeit an unsere Vorstellung anzupassen. Gelingt dies, wäre alles wieder in Ordnung und die Dissonanz beseitigt. Wir könnten aber auch akzeptieren, dass unsere Vorstellung von der Wirklichkeit abweicht und uns damit abfinden. Auch das würde die Dissonanz beseitigen. Halten wir aber an unseren Erwartungen fest und entscheiden uns weder für das eine noch für das andere, bahnen sich Frustration und Ärger ihren Weg und bilden somit eine solide Basis für einen schönen Konflikt.

Auch hier ein Beispiel: Kollegin A kommt in die Küche und sieht, wie Kollege B gerade die Spülmaschine einräumt. Ihre Kaffeetasse lässt er jedoch "einfach" stehen. Kollegin A ist daraufhin ziemlich irritiert und kann die Situation nicht recht einordnen. Was tut sie? Den Kollegen höflich ansprechen? Selbst wegräumen? Akzeptieren? Oder sich ärgern? Vielleicht von allem etwas?

Der Psychologe Leo Montada ergänzt die auf unterschiedlichen bzw. gegensätzlichen Interessen beruhende Konfliktdefinition von Glasl um die Dimension der Legitimität von Handlungen bzw. um die Dimension der Gerechtigkeit. Nach Montada entstehen Konflikte, wenn Handlungen als nicht legitim, nicht rechtmäßig oder ungerecht empfunden werden, weil sie die eigenen Normen und/oder Ansprüche verletzen.


Um bei dem Beispiel der Klimaanlage zu bleiben: Aus Sicht von Kollege B hat Kollegin A gar nicht das Recht, die Klimaanlage einfach aufzudrehen, ohne sich mit ihm abzusprechen. "Sie weiß doch, dass er direkt darunter sitzt und schon seit Tagen mit seinem steifen Nacken zu kämpfen hat." 

Dass Konflikte auch unter kulturellen Aspekten betrachtet werden können, zeigt der vielseitige und bisweilen streitbare Kultursoziologe und Historiker Egon Flaig. Flaig unterscheidet bei der Betrachtung von Konflikten zwischen Meinungen, Vorstellungen, Haltungen und Einstellungen und der unterschiedlichen Möglichkeit, diese sprachlich zu kommunizieren. Meinungen, Vorstellungen, Haltungen und Einstellungen prägen unsere persönliche Lebenswirklichkeit. Während Meinungen sprachlich noch gut kommunizierbar sind, wird es bei Vorstellungen (gemeint sind kulturelle Vorstellungen) schon schwieriger. Richtig kompliziert wird es bei Einstellungen und Haltungen. Je schwieriger es ist, diese Dimensionen zu versprachlichen, desto schwieriger ist es, sie zu verstehen und zu verändern, und je unterschiedlicher die Vorstellungen, Einstellungen und Haltungen zwischen zwei Akteuren sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die daraus resultierenden Handlungen als Negation der eigenen Lebenswirklichkeit erlebt werden, was unweigerlich zu Konflikten führt.

Auch hier ein Beispiel: Kollege A ist 30 Jahre älter als Kollegin B und im Gegensatz zu ihr sehr konservativ aufgewachsen. Dass Kollegin B in der Hierarchie über Kollege A steht, nagt schon seit ihrer Beförderung an ihm. Dass sie ihm nun auch noch das "Du"  als erste anbietet, macht ihn innerlich sehr wütend, woraus er auch keinen Heel macht. 

Allen hier vorgestellten Definitionen ist eines gemeinsam: Entscheidend für die Entstehung von Konflikten ist immer das eigene "Erleben". Erst wenn ich unterschiedliche Interessen oder eine Handlung als illegitim wahrnehme oder wenn ich eine Dissonanz oder Negation meiner eigenen Lebenswirklichkeit erlebe, gerate ich in den Konfliktmodus.

Auf drei Augen blind? Wie entstehen Konflikte?

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